Meisterstücke in der Kritik: In seiner klaren Linienführung erinnert das wandhängende Sideboard von Martin Hütt an Industriedesign von Dieter Rams. Das Innenleben des Möbelstücks ist wohl durchdacht, wenn es mit der formvollendeten Hülle auch nicht ganz Schritt halten kann.
Der lang gezogene schlichte Quader mit den abgerundeten Ecken, seinen schmal ausgebildeten Fugen, dem nahtlos quer umlaufenden Furnier und den einfarbigen, grifflosen Fronten überzeugt durch die auf das Wesentliche reduzierte Formensprache. Diese drückt sich auch in der Beschränkung auf nur zwei sichtbare Materialien aus: Eiche-Messerfurnier und das schwarze Zellulosefasergewirk »Snap-Pap« grenzen Flächen und Konturen markant voneinander ab und mindern spielerisch die kompakte Wirkung des Sideboards mit drei im 90°-Winkel öffnenden Klappen. In der Hülle befindet sich ein Innenkorpus mit zwei Schubladen, einem Tablarauszug mit drei herausnehmbaren Boxen und zwei Fachböden. Diese Einteilung erfüllt einen hohen Gebrauchswert durch unterschiedliche und flexible Ablage- und Ordnungsmöglichkeiten.
Die durch Materialwechsel abgesetzte Aufkantung des Tablarauszugs zeigt besonders in der frontalen Ansicht eine weniger subtile Handschrift als die feine Außenform – hätten die herausnehmbaren Boxen dezenter fixiert werden sollen? Auch Klappenhalter mit selbsteinziehendem Seilzug sind revisionierbar hinter Blenden verborgen, die mit 25 mm sehr breit sind und dazu von 17 mm starken Zwischenwänden eingefasst werden. Im Sinne einer Black Box ist das grundsätzlich eine gute Lösung – die hat hier jedoch zur Folge, dass der Innenraum nicht der gerundeten Kontur des Außenkorpus folgt, sondern sie begradigt, was die Linienführung des Entwurfs beeinträchtigt. Die beachtliche Dicke der Sandwichaufbauten hätte man durch Einlassen der Klappenhalter verringern können. Unberührt davon zeigt das Möbel eine sehr anspruchsvolle gestalterische und handwerkliche Qualität. Auch die Güte der Fertigungszeichnungen lässt keine Wünsche offen. Martin Hütt folgt mit der Formgebung seines Stücks einer der zehn »Thesen für gutes Design« von Dieter Rams: »Gutes Design ist so wenig Design wie möglich«. Das gilt insbesondere auch für Meisterstücke.
Eckhard Heyelmann, Garmisch-Partenkirchen, Innenarchitekt und Dipl.-Designer. Von 1990 bis 2001 hat er als Leiter der Schulen für Holz und Gestaltung in Garmisch-Partenkirchen auch die Entwicklung der Meisterstücke betreut.
Der Beitrag »So wenig Design wie möglich« erschien zuerst auf dds – Das Magazin für Möbel und Ausbau.